ARCHITEKTUR
Das im Oderbruch gelegene Dorf Dolgelin hatte 1877 mit Fertigstellung der Nebenstrecke Eberswalde-Frankfurt/Oder erstmals Bahnanschluss erhalten. Die neue Strecke war Teil der preußischen Staatsbahn. Zur Station Dolgelin gehörte von Beginn an ein Bahnhofsgebäude mit Güterschuppen, das weitgehend unverändert überkommen ist. Nach langer und komplizierter Vorgeschichte entstand 1910-12 als zweite Verbindung in der Region die Kleinbahn Fürstenwalde-Wriezen (,,Oderbruchbahn“), deren 111 km lange Strecke 43 Stationen umfasste. Sie diente sowohl dem Personen- als auch dem Güterverkehr.
Die beiden genannten Eisenbahnlinien kreuzten sich im Dorf Dolgelin, weshalb hier eine Übernahme der Güter sowie das Umsteigen der Reisenden von der Kleinbahn auf die Staatsbahn und umgekehrt möglich waren. Art und Zahl der am Ort vorhandenen Bahnanlagen entsprachen diesem Bedarf. Sie umfassten zusammen neun Gleise, vier Bahnsteige und zwei Ladestraßen sowie zwei Stationsgebäude, da Betrieb und Verwaltung der Kleinbahn und der Staatsbahn vor Ort strikt getrennt erfolgten.
Das nach Plänen des namhaften Architekten Otto Techow 1910 in Formen des Heimatschutzstils erbaute Dolgeliner Stationsgebäude für die ,,Oderbruchbahn“, das seinen Platz schräg gegenüber dem Stationsgebäude der Staatsbahn auf der westlichen Seite der Gleise erhalten hatte, wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 zerstört. Ein dringend notwendiger Ersatzbau konnte erst um 1960 realisiert werden. Die Ausführung des neuen Bahnhofsgebäudes erfolgte in modernen, zeitgemäßen Formen auf Grundlage eines Prototyps. Wer diesen entwickelt hat, ist bislang unbekannt, und ebenso, wer damals mit den konkreten Planungen für den Standort Dolgelin betraut wurde. Hier und auch im Fall eines weiteren Bahnhofsneubaus an der Oderbruchbahn entschied man sich für eine den örtlichen Bedürfnissen angepasste Variante. Weitere Vertreter dieses Bahnhofstypus entstanden etwa zeitgleich an der Strecke Berlin-Rostock (Lloyd-Bahn), die wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als Verbindung zum einzigen Überseehafen der DDR um1960 einen Ausbau erfuhr. Fast alle dieser damaligen Neubauten wurden nach 1990 gravierend überformt. Zu den wenigen authentisch erhaltenen Beispielen gehört das Bahnhofsgebäude Dolgelin. Es erinnert an die Bedeutung, die das Oderbruch auch nach der Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft als Lieferant von Gemüse und Obst für die Großstadt Berlin und ihr Umland besaß. Gelegen am wichtigen Kreuzungspunkt zweier Strecken dokumentiert es zugleich eine wichtige Etappe der regionalen Verkehrsgeschichte. Vorstellungen von den zeitgenössischen Wohn- und Lebensverhältnissen eines Bahnangelstellen und seiner Familie vermitteln die in das Stationsgebäude integrierte Dienstwohnung und das zugehörige kleine Nebengebäude.
Baugeschichtlich verweist der Bahnhof auf den grundlegenden Paradigmenwechsel in der DDR-Architektur ab den späten 1950er Jahren, der eine Abkehr vom Leitbild der Nationalen Tradition hin zu einer modernen, von Grundsätzen des seriellen Bauens geprägten Architektur beinhaltete. Auffallend ist in diesem Kontext die gestalterische Ähnlichkeit des Dolgeliner Bahnhofs mit DDR-Typenbauten, die damals Unter Leitung der Bauakademie für andere Funktionszusammenhänge entwickelt wurden (z.B. Verkaufseinrichtungen oder die Kindergärten der Architektin Karola Bloch). Im Land Brandenburg gehört der Dolgeliner Bahnhof zu den wenigen Beispielen erhaltener Bahnhofsgebäude aus der DDR-Zeit.
Ilona Rohowski
Bahnhofstr. 10
15306 Lindendorf, Dolgelin
kontakt@erdbahnhof.de
Bahnhofstr. 10
15306 Lindendorf, Dolgelin
kontakt@erdbahnhof.de